Der Sphinx und seine Bedeutung
Ursprünglich befand sich auf der Ostseite des Giza-Plateaus eine 10 m hohe Felsklippe, woraus eine riesige Löwengestalt mit Menschenkopf gehauen wurde: der Sphinx. Er ist insgesamt 63 m lang, wobei allein die Vorderpfoten 15 m messen. Der Rücken ist 12,5 und der Kopf 20 m hoch. Der Kopf selbst ist 6 m hoch und das Gesicht 4 m breit. Um den Sphinx zu formen, wurde eine 7,6 m tiefe und 5,5 m breite Furche aus dem Felsen geschnitten.
Nach der Entdeckung des Sphinx- und des Tal-Tempels (siehe Seite 70) stellte sich heraus, dass die Kalksteinblöcke dieser Anlagen sowie des Totentempels vor der mittleren Pyramide aus diesem Sphinx-Graben stammen.
Die Zuordnung an Chephren als Erbauer erfolgt durch die angeblichen Beweise der Sitzstatue aus Diorit, die im Tal-Tempel gefunden wurde, sowie auf einer Inschrift auf der Traumstele, die vor dem Sphinx steht und von Thutmosis IV stammt, der mehr als tausend Jahre nach Chephren lebte und den Sphinx freilegte. Darauf wird die Silbe Che erwähnt, woraus Ägyptologen den Bezug zum Namen Chephren ableiten. Der angesehene Ägyptologie-Professor C. Gaston Maspéro erwähnte dazu im Jahr 1900:
„Die Stele der Sphinx trägt in Zeile 13 den Namen Chefre, in der Mitte einer Lücke. […] Es gibt meiner Ansicht nach den Hinweis, dass die Sphinx unter diesem Herrscher freigelegt und restauriert wurde und folglich den mehr oder weniger sicheren Beweis, dass sie bereits zu Zeiten seiner Vorfahren im Sand verschüttet war.“
Professor James Henry Breasted, der die Stele 1905 untersuchte, hielt fest:
„Die Erwähnung von Pharao Chephren ist als Hinweis verstanden worden, dass die Sphinx das Werk dieses Königs war – ein Schluss, der nicht triftig ist.“
Als weiteren Beweis für die Bauherrschaft von Chephren brachten Dr. Zahi Hawass und Prof. Mark Lehner Anfang der Neunzigerjahre die Behauptung ins Spiel, dass das Gesicht des Sphinx dem von Chephren entspreche (Magazin „National Geographic“, April 1991: „Computer rebuilds the Ancient Sphinx“).
Es braucht allerdings viel Fantasie, um eine Ähnlichkeit zwischen dem Antlitz der Diorit-Statue des Chephren, das europäisch anmutet, und dem Sphinx-Gesicht feststellen zu wollen, das besonders im Profil afrikanische Züge aufweist. Zu diesem Schluss kam auch der Polizeileutnant Frank Domingo, der im Auftrag der Edgar-Cayce-Stiftung im Oktober 1991 nach Ägypten reiste, um das Gesicht des Sphinx und die Chephren-Statuen zu vergleichen. Der Gesichtsexperte, der für die New Yorker Polizei mehr als 20 Jahre lang Phantombilder erstellte und für die Gerichtsmedizin Gesichter von verstümmelten Opfern rekonstruierte, hielt in seinem Abschlussbericht fest:
„Das Ergebnis der Untersuchungen ist eindeutig: Bei der Sphinx und der Chephren-Statue handelt es sich um zwei völlig verschiedene Individuen, die von unterschiedlichen Rassen stammen.“
Anfang 2016 führten Münchner Rechtsmediziner den neusten Vergleich durch, mit dem Fazit, die morphologischen Gesichtsmerkmale stimmten nur gering mit Chephren, und nicht mit Cheops überein.
Wahrscheinlicher ist der heutige Sphinx-Kopf nicht der ursprüngliche, denn er ist im Verhältnis zum Körper viel zu klein. Die anderen Giza-Bauwerke zeugen von einem ausgeprägten Sinn für Proportionen und auch bei den späteren Sphinxen aus der Pharaonenzeit stimmt der Löwen-, Widder- oder Menschenkopf mit der Körpergrösse überein. Deshalb kann man davon ausgehen, dass beim Sphinx vor den Giza-Pyramiden nach der grossen Regenzeit die verwitterte Oberfläche des ursprünglichen Kopfes abgetragen und aus dem unversehrten Felskopf ein neuer gemeisselt wurde, mit schmalem Bart, Nemes-Kopftuch und Uräusschlange an der Stirn. Die drei typisch ägyptischen Königsattribute deuten zwar darauf hin, dass ein Pharao den Sphinx-Kopf neu gestalten liess. Doch es könnte auch sein, dass diese altägyptischen Insignien damit zusammenhängen, dass sich die Pharaonen der 1. Dynas-tie am Sphinx-Kopf orientierten. Der abgebrochene Bart wie auch die abgebrochene Nase befinden sich heute im Britischen Museum in London. Wer den Sphinx-Kopf zerstört hat, ist nicht restlos geklärt.
Am wahrscheinlichsten der drei Theorien ist die ägyptologische, basierend auf dem arabischen Historiker al-Makrizi (siehe Seite 169). Demzufolge hat der strenggläubige Scheich eines Sufi-Klosters, Mohammed Saim el-Dar, die Nase des Sphinx 1378 abgeschlagen und wurde von der aufgebrachten Menge umgebracht.
Die Theorie einer fehlgeleiteten Kanonenkugel der Mameluken, bei der Verteidung gegen Napoleons Invasion 1798, konnte nie bewiesen werden.
Am unwahrscheinlichsten ist die meist zitierte These, durch Kanonen-Zielübungen des französischen Streitheers. Dies war jedoch mit Napoleons Verehrung für das pharaonische Reich nicht vereinbar, denn er selbst verkündete:
„Ägypten ist die Wiege der Wissenschaften und Künste der gesamten Menschheit.“ Seine Forscher und Wissenschaflter hinterliessen uns die genauesten Dokumentationen der Orte und Bauten in der „Description de l’Egypte“, und auf diesen Bildern fehlte die Nase bereits.
Die Kontroverse um das Alter des Sphinx
Der Körper des Sphinx ist stark verwittert und wurde in den vergangenen Jahrtausenden mehrfach restauriert. Als Erschaffer der faszinierenden Skulptur gilt offiziell immer noch Pharao Chephren, der Sohn von Cheops. Die Erosion wird von der Ägyptologie dem Wind zugeschrieben, obwohl der Sphinx in einer Grube steht und in den vergangenen 4‘500 Jahren seit Chephren meist von Sand bedeckt war. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot, der Ägypten im 5. Jahrhundert v. Chr. bereiste, berichtet zwar von allen 3 Giza-Pyramiden, erwähnt jedoch den Sphinx mit keiner Silbe, was darauf schliessen lässt, dass er damals vollständig unter dem Sand verborgen lag.
Sollte tatsächlich der Wüstenwind die Erosion verursacht haben, müssten die Sandsteinbauwerke aus der 4. Dynastie mindestens den gleichen Verwitterungszustand wie der Sphinx aufweisen, was nicht der Fall ist. Die vertikalen, 0,9 bis 1,8 m tiefen Furchen in der Grubenwand deuten vielmehr auf Wasserläufe hin, die von heftigen und zahlreichen Regengüssen stammten, wie sie Ägypten vor über 10‘000 Jahren erlebte.
Als erstem fielen die Wassererosionsspuren beim Sphinx dem französischen Mathematiker und Symbolforscher R. A. Schwaller de Lubicz auf, der in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zu Studienzwecken in Ägypten weilte. In seinem Buch „Roi de la Théocratie Pharaonique“ (in englischer Übersetzung: „Sacred Science – The King of Pharaonic Theocracy“) hielt er fest:
„Bevor Ägypten im 11. Jahrtausend v. Chr. von Unwetterkatastrophen heimgesucht wurde, muss dort eine hochentwickelte Kultur existiert haben. Wir vermuten, dass die Sphinx damals bereits existierte, denn ihr Löwenkörper weist eindeutig Spuren von Wassererosion auf.“
Er und seine Tochter Lucy de Lubicz hatten ein tiefes Verständnis der geometrischen Formen und der ägyptischen Kultur, die sie in vielen Publikationen dokumentierten. Bei seiner Betrachtung des Sphinx entwickelte Schwaller de Lubicz ein besonderes Interesse an der Frage, wie die immense Abnutzung an seiner Oberfläche zustande gekommen sei. Und an der Rückwand des Sphinx fanden sich Erosionen, die 3,60 m tiefe Einschnitte in ihre Oberfläche verursacht haben, und dieses Erosionsmuster ist ein völlig anderes als das an anderen ägyptischen Bauwerken. Die Erosionsmuster der anderen angeblich zur gleichen Zeit errichteten Bauwerke wurden von ihrer Oberflächenstruktur her durch Sand und Wind abgetragen, was schlüssig ist, wenn man davon ausgeht, dass die Gebäude – so wie angenommen – rund 4‘000 Jahre alt sind. Entsprechend dem gängigen Denken wurden der Sphinx, die „Cheops“-Pyramide und weiter zusammenhängende Bauwerke vor etwa 4‘500 Jahren in der 4. Dynastie unter Cheops begonnen.
Die Erosionsspuren am Sphinx sehen jedoch aus, als seien sie von Wasser ausgespült worden (siehe Abb. 2.7 und 2.8),
Altersbestimmungen von Mr. West und Dr. Schoch
30 Jahre später befasste sich der amerikanische Ägyptenforscher John Anthony West in seinem 1979 veröffentlichten Buch „Serpent in the Sky“ ausführlich mit der Beobachtung des Franzosen. Weil die offizielle Ägyptologie Wassererosion kategorisch ausschloss, wandte sich West 1989 an den Geologie-Professor Robert Schoch von der Universität Boston, einen ausgewiesenen Spezialisten für Verwitterungsprofile. Trotz grossen Zweifeln an der Wassererosions-hypothese reiste Schoch, der davon ausgegangenen war, dass das Alter des Sphinx bereits hieb- und stichfest bestimmt worden sei, im Jahr darauf mit West erstmals nach Ägypten.
Obwohl sie den Sphinx nur von der Besucherplattform aus betrachten konnten, wurde dem Geologie-Professor gleich klar, dass die Skulptur Wassererosionsspuren aufweist. Um ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten zu erstellen, musste das Gestein jedoch untersucht werden, wofür die ägyptische Antikenverwaltung auf Empfehlung der Universität Boston eine Genehmigung erteilte. John West stellte ein hochkarätiges Team zusammen, dem ausser Professor Schoch auch der Geophysiker Dr. Thomas L. Dobecki aus Houston, zwei weitere Geologen, ein Architekt, ein Fotograf und der Filmemacher Boris Said angehörten. Die 1992 mit wissenschaftlicher Sorgfalt durchgeführte Analyse der Kalksteinstruktur des Sphinx und der Umgebung bestätigte, dass die Verwitterungsspuren von Niederschlägen herrühren.
Anmerkung:
Dr. Dobecki, der vor Ort auch seismographische Untersuchungen vornahm, um die Verwitterungsspuren im Untergrund zu erfassen, entdeckte damit auf dieser Expedition sozusagen nebenbei eine Abnormität, die auf einen Hohlraum unter dem Sphinx hindeutete, der etwa 9 m breit, 12 m lang und 5 m hoch ist.
Als das Team 1992 an der Jahresversammlung der Geological Society of America die Ergebnisse präsentierte, waren viele Geologen angesichts des Beweismaterials völlig erstaunt, dass die Wassererosion am Sphinx durch Niederschläge erst nach zwei Jahrhunderten Giza-Forschung festgestellt wurde. Man hat es betrachtet und geprüft, darüber nachgedacht und debattiert, und am Ende kamen die Wissenschaftler zu der Überzeugung, dass diese so zutrifft.
Dazu haben geologische Computerberechnungen ergeben, dass es über 1‘000 Jahre lang ununterbrochen geregnet haben müsste, um solche Erosionen hervorzurufen. Ausgehend davon muss der Sphinx mindestens 8‘000 Jahre alt sein. Da es aber unwahrscheinlich ist, dass es 1‘000 Jahre lang ununterbrochen gegossen hat, gingen die Schätzungen dahin, dass er mindestens 10‘000–15‘000 Jahre alt sein müsste, vielleicht sogar noch älter.
Dadurch hat sich also das Alter des Sphinx von 4‘500 Jahren (Ägyptologie) auf mindestens 7‘000–9‘000 Jahre erhöht (Dr. Schochs konservative Einschätzung). Wissenschaftlich auf 10‘000–15‘000 Jahre (geologische Untersuchungen) oder noch älter (J. A. West mit geschätzten 15‘000–18‘000 Jahre), und dies verändert die gesamte Weltsicht, vor allem die der Geschichte und der Archäologie.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch GIZA VERMÄCHTNIS.